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AGLAN

Arbeitsgruppe
Luftfahrtarchäologie
Niedersachsen

Luftkampf über dem Mittellandkanal


05.12.1944


Nachdem die Bomber das Ziel Berlin verlassen hatten, wich die 350 Fighter Group aus der Menge der begleitenden amerikanischen Jägern nach Süden aus, um Kollisionen mit anderen Flugzeugen zu vermeiden. Sie entdeckten im Raum des Steinhuder Meeres eine alleine fliegende B-17 der 91st Bomber Group, 322nd Bomb Squadron in einer Flughöhe von nur 150 Metern. Der Bomber, von der Flak über dem Zielgebiet getroffen, verlor immer weiter an Höhe.


Der Staffelführer entschied die B-17 zu begleiten. Die P-51 Mustangs umkreisten die B-17, als etwa 15 Focke Wulf 190 des Jagdgeschwaders 11, unter der Führung des Geschwaderkommodore Major Günther Specht, aus den Wolken brachen und das Feuer auf die B-17 eröffneten. Der Bomber stürzte nördlich Lindhorst ab. Die gesamte Besatzung der B-17 43-38360 überlebte und geriet in Gefangenschaft.


Die begleitenden amerikanischen Jäger nahmen den Luftkampf auf. Captain William F. Tanner flog eine Linkskurve um sich hinter eine FW 190 setzen zu können. Zeitgleich verfolgte 2nd. Lt. Cowen bereits einen deutschen Jäger, dem er einige Treffer setzen konnte, sodass die Focke Wulf in Brand geriet.


Tanner, der nun eine deutsche Maschine vor dem Visier hatte und diese gerade mit etwa 20 Schuss bekämpft hatte, wurde selber von einer angreifenden Focke Wulf unter Feuer genommen. Leuchtspurgeschosse zischten über seinen Flügel, eine schlug in seine P-51 ein. Er zog scharf aus der Schussbahn, der ihn verfolgenden Focke Wulf, geriet dabei aber in wegfliegende Metallteile des gerade von ihm beschossenen Jägers, die seinen Propellerspinner und die Schießkamera trafen. Tanner befand sich jetzt in einem 180 Grad Winkel zu dem Deutschen, der ihn verfolgt hatte und sah wie 1st Lt. Deeds dieser Focke Wulf auf den Fersen war und mit einem langen Feuerstoß die Maschine bekämpfte, bis sie in der Luft explodierte.


Als Tanner seine Wende beendet hatte, befand er sich mitten in einem Schwarm von FW 190, die sich gerade auf die P-51 von 1st lt. Deeds stürzten. Tanner suchte sich eine FW 190 aus und schoss. Der Deutsche Pilot drehte seine Maschine auf den Rücken und wollte mit einem Überschlag nach unten entkommen. Da die Höhe von etwa 120 Metern zu knapp war, versuchte der Pilot durch Rollen sein Manöver abzubrechen, was ihm aber nicht gelang. Er schlug auf dem Boden auf und fing sofort Feuer.


Tanner hatte erneut drei FW 190 hinter sich und kurvte weg. Er sah dabei wie Deeds ebenfalls eine FW 190 am Heck hängen hatte und warnte ihn über Funk. Zu spät! Der Pilot der FW 190 erzielt Treffer, sodass die P-51 von Deeds brannte und er kurz darauf auf dem Boden aufschlug. Die P-51 ging in Flammen auf. Tanner, der nun versuchte seine drei Verfolger mit einer scharfe Kurve im Aufwärtsflug zu entkommen, konnte noch beobachten, wie 2nd. Lt. Cowen von zwei FW 190 Treffer am Heck erhielt. Cowen stürzte unweit seines Staffelkameraden Deeds in eine Wiese südlich des Mittellandkanals.


Nach dem Absturz war der Meister der Gendamerie Herman Bade aus Sachsenhagen an den Absturzstellen der beiden Jagdflugzeuge. Er stellte fest, das sich beide Maschinen in den weichen Boden gebohrt hatten und einzelne Trümmer im Umkreis von 200 bis 300 Meter umherlagen. An der Absturzstelle des 2nd. Lt. Cowen traf er auf den Bürgermeister Stege aus rehren und den Landwirt Wilhelm Thiele aus Niengraben. Beide hatten bereits nach den Piloten ausschau gehalten, aber nur ein Stück Schädeldecke mit schwarzen Haarbüscheln gefunden.


Kurz darauf trafen drei Offiziere der Luftwaffe ein. Sie gaben sich als diejenigen aus, die am Abschuss beteiligt waren. Einer von Ihnen Oberleutnant Fritz Langheld von der 5./JG 11, vermutlich auch Major Specht und Fhj Ofw Neuberger.


Eine Bergung der Toten war wegen den unter Wasser stehenden wiesen nicht möglich und wurde von der Luftwaffe auf das Frühjahr 1945 zurückgestellt. Dazu kam es nicht mehr. Im Mai 1945 waren beide Toten nicht geborgen. Zumindest wurde das Heck der Maschine des 2nd Lt. Cowen gefunden und damit die Seriennummer festgestellt werden. Die Bergung erfolgte durch die Amerikaner im Jahr 1948 mithilfe britischer Pioniere.


An den Abschüssen der zwei P-51 waren drei deutsche Piloten des Jagdgeschwaders 11 beteiligt:


Für Unteroffizier Karl Krentz vom Stab/JG 11 ist es der erste Luftsieg, dem noch zwei weiter folgen werden, bevor er im Luftkampf. Zwei Wochen vor Kriegsende, am 24.04.1945 bei Berlin fällt.


Dem erfahrenen Geschwaderkommodore des JG 11, Major Günther Specht, gelingt der 34. und letzte Abschuss. Er wurde bei der Operation Bodenplatte am 01.01.1945 abgeschossen und gilt seitdem als vermisst. Posthum erhielt er das Eichenlaub zum Ritterkreuz und wurde zum Oberstleutnant befördert.


Der sechste Luftsieg war es für den Fahnenjunker Oberweldwebel Alfred Neuberger. Er verlor sein Leben am 01.02.1945 nordöstl. Kienitz durch Flakbeschuss.


Captain William Frank Tanner verblieb nach dem Krieg bei der Airforce und wurde 1965 im Rank eines Colonel in den Ruhestand verabschiedet. Tanner verstarb 1998 im Alter von 78 jahren in Texas.




Quellen:


Missing Allied Air Crew Report MACR 10816

Missing Allied Air Crew Report MACR 10817

Individual Personal Deceased File (IDPF) des 2nd Lt. Cowen



Bildnachweis:


[1] Imperial War Museum (IWM), Roger Freeman Collection, FRE 390

[2] Imperial War Museum (IWM), UPL 30301

[3] Bundesarchiv, Bild 101I-676-7975A-28, CC-BY-SA 3.0

[4] National Museum Of The United States Airforce, Public Domain

Die P-51, die Captain Tanner flog.
Die P-51 44-72212, die Captain Tanner flog [1]
Die B-17 43-38360.
Nose Art der bei Lindhorst abgestürzten B-17 [2]
Major Specht 1944 mit Kurt Tank im Gespräch.
Major Specht (li.) 1944 mit Kurt Tank im Gespräch [3]
Captain Tanner.
Capt William F. Tanner [4]